Ausgelöst hatte ihn die Gläubige Christa M. Sie war dazu übergegangen aus Kostengründen an Marienbildnissen, häufig als Himmelskönigin, bisweilen als Pietà, seltener als Anna Selbdritt, darstellend, in den diversen Kirchen, die sie als Begleitung ihres Ehemannes bei dessen langen Dienstreisen aufsuchte, nur noch eine Kerze zu stiften, daran aber wie bisher alle Fürbitten zu hängen: für die Mutter und zwei Großmütter, für die beiden Kinder, Tochter und Sohn, deren eheliche Partner, also Schwiegersohn und Schwiegertochter, einbeziehend, die zwei Enkelkinder, auch die Schwiegermutter, dem Ehemann zuliebe, und bisweilen auch den Schwiegervater aus dem gleichen Grund, summa elf Personen, wovon fünf, die Altvorderen nämlich, bereits verschieden waren, um deren ewiges Seelenheil es daher ging, während um das irdische Seelenheil der vier Kinder, also die zwei Schwiegerkinder inklusive und zwei Kindeskinder zu sorgen war, wobei sie selbst, in der Erkenntnis, diese eine Fürbittkerze nicht zu überlasten, bescheiden zurücktrat und ihren Ehemann solidarisch gleich einschloss. Statt der bisher 4,50 Euro für neun nur noch 0,50 Euro für eine Kerze, eine Einsparung von 4,00 Euro pro Kirchenbesuch. Das hätte sich in der ehelichen Haushaltskasse bemerkbar gemacht.
Jedoch, die Bereitschaft „von oben“ ließ nur sechs Seelen für eine Kerze zu und zwang so die Fürbittende, ihre Anliegen auf eine zweite Kerze zu verteilen, also insgesamt 1 EUR in die bereitgestellte Kerzenkasse zu werfen. Obwohl damit die Möglichkeit zugestanden wurde, im Gegenzug doch noch sich selbst oder den Ehemann einzubeziehen, empfanden einige, insbesondere Neuankömmlinge im Glauben, denen sie darüber berichtete, das als seraphische Abzockerei.
Aber Erzengel Gabriel, für Haushalt und Finanzen zuständig, blieb eisern. Auch der Himmel müsse sich in diesen Zeiten wirtschaftlich orientieren, das heißt, wo immer es ginge die Kosten senken und die Erlöse steigern.
Der Zugang an neuen Seelen, also mehr Fürbittkerzen, sei infolge der wirren irdischen Verhältnisse immer spärlicher geworden, obwohl Petrus am Tor ganz offensichtlich mit der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen aus falsch verstandener sozialer Fürsorge leichtfertiger geworden sei. Von ein paar Seligsprechungen abgesehen habe es seit Menschengedenken keine neuen Heiligen mehr gegeben, die alten seien auch in die Jahre gekommen und nicht mehr für alles einsetzbar. Und nach den Cherubinen und Seraphinen frage, von gelegentlichen Psalmodierstunden abgesehen, ohnehin niemand mehr.
Völlig unrealistisch sei auch die Idee, vorübergehend Gastarbeiterseelen, wenn schon nicht aus der Hölle, so doch aus dem Fegefeuer zuzulassen. Zwar sollten sie auf Erden zusätzliche Fürbitten mit Kerzenspenden auslösen, aber die Gefahr, sie würden die Gelegenheit nutzen und Asylgesuche einreichen, die dann trotz rigider Prüfungsverfahren mit Hilfe von Schleppern und Rechtsanwälten, die es selbst geschickt bis in den Himmel geschafft hatten, erfolgreich durchgesetzt würden, sei zu groß, die Folgen eine zu große finanzielle Belastung für die Himmelheimischen.
Also bliebe nur, von den Gläubigen, von denen, soweit überhaupt noch aktiv den sonntäglichen Kirchgang praktizierend, sich die Mehrheit ohnehin im Rentenalter befände und trotz zusätzlicher Einschränkung der Altersfreuden durch Krankenkassenbeiträge und Besteuerung der Alterseinkünfte über eine beachtliche Kaufkraft verfüge, mehr Bares zu verlangen. Und was heiße hier schon Generationenvertrag? Immerhin sei die Einbeziehung der eigenen oder verehelichten Person in die zweite Kerze fast schon als Schnäppchen einzustufen.
Erzengel Gabriel war die Sorge um einen ausgeglichenen Haushaltsplanentwurf für das kommende Himmelsjahr deutlich anzumerken. (G/se 050905)