Am Theater ist es heutzutage üblich, die Vergangenheit in den Stücken, also etwa Faust und Wallenstein, oder Don Giovanni und Lohengrin, in die Gegenwart zu holen, also nicht so, wie der Schöpfer, Goethe und Schiller, Mozart und Wagner, des Werkes es gemeint – und, Gott behüte, es oft auch gewollt – hat, sondern wie es nach zeitgemäßem Verständnis begreiflich gemacht werden sollte. Das läßt zwar einige Zuschauer, die das Original noch kennen, etwas ratlos zurück, bringt aber für die progressiven unter ihnen völlig neue Theatererlebnisse.
Es ist daher unverständlich, dass die Geschichtswissenschaft auf historischen Fakten und Abläufen besteht, statt sie in digitalen Sichtweisen innovativ zu aktualisieren.
So wird zum Beispiel der legendäre Zug Hannibals im Jahre 218 v. Christus über die Alpen uns in den zahlreichen historischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Darstellungen völlig altmodisch vermittelt. Fußtruppen, Reiterei und die Elefanten, deren Rasse sowieso schon ausgestorben ist, sind überhaupt nicht zeitgemäß. Tierschutzverbände haben bereits gegen die Darstellung des nicht artgerechten Einsatzes der Tiere protestiert.
Heute würde sein Heer in hochmotorisierten SUVs fahren [marketingorientierte und vertriebsstarke Hersteller sichern das Projekt als Sponsoren (Platin-, Gold-, Premium-, etc.) finanziell ab]. Eine Einschränkung ist allerdings, dass die Fahrzeuge inzwischen auch schon antiquierte Benziner und nicht hybrid oder vollelektrisch angetrieben sind, um – angesichts ihrer begrenzten Reichweite – das Risiko zu vermeiden, dass die ohnehin wenigen E-Ladesäulen am Weg übers Gebirge von den römischen Verbündeten abgeschaltet werden.
Ihre GPS-gesteuerten Navis finden den richtigen Alpenpass zur Überquerung [die GPS-Daten sollten als Hyperlinks publiziert werden, damit Interessenten den Weg korrekt nachfahren können]. Die Kenntnis des zu erobernden aber unbekannten Landes wird über Augmented und Virtual Reality den mit Tablets und Smartphones ausgerüsteten Soldaten zeitnah vermittelt. Webcams ausgerüstete Drohnen bieten in Echtzeit Informationen über die Kampfstärke und Aufstellung der Gegner. Die siegreichen Schlachten der karthagischen Truppen werden in Videos – blutüberströmte tote römische Soldaten als close-ups – festgehalten und zur Demoralisierung der Gegner laufend ins Netz gestellt.
Per Twitter (jetzt X „Blaze your Glory!“) berichtet Hannibal persönlich über den Vormarsch. Nach der gelungenen Überquerung erklärt er auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz (noch auf der Pass-Höhe mit Blick in die Poebene als Hintergrund; das kann von einigen alten Gemälden übernommen werden) den zahlreichen begleitenden Medienvertretern [auch römische sind zugelassen], dass es jetzt gelte, in der mit Hilfe von KI entwickelten Strategie Prioritäten zu setzen, und er demzufolge durchstarten werde. Auf die Frage eines Journalisten, wie es denn jetzt weiterginge, antwortete er knapp: „Bergab“!“
In Rom reagiert die Politik mit der Herausgabe eines täglichen Bulletins, in dem nach verschiedenen Modellen wissenschaftlicher Institute und Organisationen Berechnungen über die bisherigen und bei einem weiteren Vormarsch zu befürchtenden hohen Umweltbelastungen durch den CO2 -Ausstoß der karthagischen Fahrzeuge, im Vergleich zu den damaligen Methan-Aussonderungen der Elefanten, – für eine breite Meinungsbildung bei den Bürger*innen auch mit Einwürfen der Oppositionsparteien, ausgenommen Rechtspopulisten und Querdenker – kommentiert werden. Damit könne die Zuversicht gestärkt werden, dass die Karthager, die noch auf fossile Brennstoffe statt auf erneuerbare Energien setzen, nicht unbesiegbar sind.
Es ist als gesichert davon auszugehen, dass solcherart aktualisierte Darstellungen der Historie ein breites Echo in Internet-affinen Kreisen auslösen und den Stellenwert der Geschichtswissenschaft signifikant steigern würden. (VII/24)